Das Sacher - Die Geschichte einer Verführung
Hotelgeschichten fesseln die Leserinnen und Leser seit Vicky Baums 'Menschen im Hotel'
Wir Menschen sind Reisende auf diesem Planeten, auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. So steht das Hotel Sacher sinnbildlich für die Stationen auf unserer Lebensreise. Im Hotel leben die Menschen in einer Ausnahmesituation, entfernt von ihrem Alltag, der ihnen oftmals keine Zeit zum Nachdenken lässt. Im Hotel wird rund um die Uhr für sie gesorgt, sie brauchen sich nur um sich selbst zu kümmern. Und vielleicht schauen sie sich in dem fremden Spiegel des Hotelzimmers anders ins Gesicht als im vertrauten Spiegel daheim und fragen sich: Wer bin ich? Was will ich? Was ist meine Aufgabe auf dieser Lebensreise?
Die Jahre, die der Roman beschreibt, stehen für den Untergang der Belle Epoque und den Beginn des Industriezeitalters. 1892 starb Eduard Sacher und seine Frau Anna übernahm die Geschäfte des Hotels. Unter ihrer Ägide wurde das Sacher unsterblich. Hier beginnt die Geschichte und meine beiden fiktiven Paare begegnen sich zum ersten Mal.
Mehr und mehr hatte ich beim Schreiben die Einsicht, dass ich gemeinsam mit meinen Figuren den Beginn einer Zeit erlebe, die bis ins Hier und Heute reicht. Bei der Arbeit am Buch holte mein aktuelles Lebensgefühl die Geschichte ein. Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen.
Berlin und Wien sind die Pole einer Achse. Uns verbinden Sprache, Kultur, Dichtung, Wissenschaft. Die beiden Städte sind wie Geschwister, die getrennt voneinander aufgewachsen sind. Wir wissen: Geschwister kann man sich nicht aussuchen. Wenn man in einer komplizierten Familiensituation ein komplexes Familienerbe antreten muss und dies auch vernünftig tun will, dann hilft nur, sich zu verbinden.
Ich selbst bin in Berlin aufgewachsen und betrachte mich in Temperament und Biografie als Preußin. Insofern habe ich ein Berliner Verlegerehepaar in Bezug zu einem österreichischen Aristokratenpaar gesetzt. Auch, wenn ich mich als Gast in Wien sehe, tragen alle vier Figuren Persönlichkeitsanteile von mir selbst. Ich habe diese Anteile in Beziehung gesetzt und lasse sie miteinander ringen. Schon von jeher reizen mich die Wahlverwandtschaften von Goethe. Vier Menschen verstricken sich miteinander und suchen nach einer Lösung für ihre sich verändernden Gefühle. In meinem Roman nehme ich die Energie der Wahlverwandtschaften auf, transponiere sie in eine andere Tonart und fabuliere um diesen Grundkonflikt anhand von diesen beiden so unterschiedlichen Paaren.
Wien hat eine große Anziehungskraft auf uns Deutsche. In der Zeit, in der mein Roman spielt, war Wien der Brennkessel Europas. In der Stadt lebten und wirkten epochale Maler und Dichter, arbeiteten und forschten herausragende Ärzte und Wissenschaftler. Die Friedensbewegung und andere progressive Strömungen setzten sich für eine Welt ohne Krieg und den Zusammenhalt der Völker ein.
Mir ist klar, dass ich längst noch nicht alle Facetten dieser wunderbaren Metropole entdeckt habe, aber inzwischen fühle ich die Stadt, ihre Menschen und ihre Geschichte.
So habe ich zum Beispiel erfahren, dass der Genuss der Wiener beim Essen und Trinken, bei dem vorzüglichen Gebäck, den großartigen Weinen, der unverwechselbaren Kaffeehauskultur nicht nur ein kulinarischer Genuss ist, sondern vor allem auch ein seelischer. Ich lasse meine Figur Anna Sacher sagen: »Wenn’s weh tut, braucht der Mensch was Süßes.« Das habe ich in Wien entdeckt und auch, wie gut sich etwas bei einer Tasse Kaffee mit Likör und Schlagobers beklagen lässt. Ich glaube, auch das ist sehr wienerisch.
Als Schriftstellerin fühle ich mich in Wien aufgehoben. Ich habe sehr gern im Café des Kunsthistorischen Museums geschrieben, in alter Tradition im Café Griensteidel oder Café Central und natürlich im Sacher. Wo immer ich meinen Laptop aufschlug, haben die Oberkellner im meist vollbesetzten Raum den besten und ruhigsten Platz für mich gefunden. Und meine stundenlange Anwesenheit bei einem Braunen und einem Glas Wasser befördert. Das ist Wien.